Film und Grafik – Serie von 15 Plakaten kubanischer Künstler*innen, 2009
Die Zugänglichkeit ist unbestreitbar eine der wichtigsten Eigenschaften der Druckkunst. Von der Produktion bis zur Rezeption bietet diese Kunstform ein enormes Potenzial, kulturelle und gesellschaftspolitische Debatten zu initiieren. Besonders in Verbindung mit den Aktivitäten der lokalen Werkstatt Neue Drucke und im Dialog mit unserem Ausstellungsprogramm leistet die in 2018 erworbene Serie von Plakaten kubanischer Künstler*innen einen wichtigen Beitrag für den Sammlungsschwerpunkt Kunst, die den gesellschaftlichen Diskurs befördert.
Diese Anschaffung war das Ergebnis der ersten größeren Kooperation der Stiftung Reinbeckhallen mit der Werkstatt Neue Drucke – die seit 2017 von Ulrike Koloska in den Reinbeckhallen geleitet wird – im Rahmen von Otro amanecer en el trópico, einer Ausstellung, die eine Bestandsaufnahme von zeitgenössischen künstlerischen Praktiken in und um Kuba präsentierte.
In Vorbereitung der Ausstellung verschaffte eine von der Kuratorin Tereza de Arruda koordinierte Recherchereise nach Havanna einen umfassenden Überblick über die Kunst- und Kulturszene der Inselhauptstadt, der sich zum einen auf die staatlichen Institutionen, zum anderen auf die nicht-institutionalisierten Kunstinitiativen und die Künstler*innen selbst konzentrierte.
Der im Juli 1962 gegründete Taller Experimental de Gráfica de La Habana (Experimentelle Grafikwerkstatt von Havanna) ist eine dieser Einrichtungen, die als Teil einer größeren Regierungsstrategie kurz nach der kubanischen Revolution mit dem Ziel der Demokratisierung der kubanischen Kunst ins Leben gerufen wurde. Kurz vor der Gründung des Taller Experimental de Gráfica wurden auch das Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematográficos (ICAIC) für Film, die Casa de las Américas für Musik und das Ballet Nacional de Cuba etabliert.
Die im Volksmund als Taller de la Plaza (Werkstatt auf dem Platz, in Anlehnung an ihren Standort auf der Plaza de la Catedral, einem der wichtigsten Plätze in Alt-Havanna) bezeichnete Druckwerkstatt wurde mit dem Ziel gegründet, einen künstlerischen Ansatz für die in Kuba bereits weit verbreiteten Drucktechniken zu entwickeln. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden diese Techniken vor allem für figürliche Darstellungen, epische Themen und die Gestaltung von Etiketten einiger der wichtigsten Exportprodukte Kubas – Tabak und Zigaretten – verwendet.
In den Jahren nach der Revolution wurde die Druckgrafik, die 1959 in das Kunstbildungssystem eingeführt wurde, zu einem eigenständigen Fachgebiet auch für Künstler der Escuela Nacional de Arte (Nationale Kunstschule), welche im selben Jahr wie der Taller Experimental de Gráfica gegründet wurde. Die Absolvent*innen der Escuela Nacional de Arte begannen schnell diese offene Plattform als Raum für das Schaffen, das Lernen und das Vermitteln von Drucktechniken zu nutzen. Mit der Steigerung der Mitgliederzahl und dem Umzug in größere Räumlichkeiten in den 90er Jahren, wurde der Taller zu einem Knotenpunkt für alles, was mit der Druckgrafik zu tun hat, von der Ausbildung über die Kreation bis hin zur Kommerzialisierung.
Die Plakatserie, die Teil unserer Sammlung ist, wurde 2009 von dem Taller herausgegeben. Mehrere zeitgenössische Künstler*innen, deren Haupttechnik nicht unbedingt die Druckgrafik ist, haben mit ihrer eigenen Neuinterpretation klassischer kubanischer Filmplakate daran mitgewirkt. Die Serie umfasst Arbeiten in Siebdruck, Lithografie und Holzschnitt und präsentiert aus einem oft regimekritischen Blickwinkel, wie die Plakate dieser Filmklassiker aussehen könnten. Die gesamte Serie umfasst 35 Drucke in einer Auflage von je 40 Stück und ist eine Hommage an zwei Kunstformen, die – insbesondere in Kuba – eine offene und zugängliche Einladung zur Reflexion und Diskussion darstellen.
Solange Lingnau
Die Plakatsammlung umfasst Werke von: Julio Cesar Peña, Rene Francisco, Max Delgado, Reinerio Tamayo, Yamilys Brito Jorge, Luis Lamothe, Lázaro Saavedra, Joel Valdivia, Jacqueline Brito Jorge, Abel Barroso, Aliosky Garcia, Kcho (Alexis Leyva), Ibrahim Miranda, Carlos Quintana and Osmeyvi Ortega.