Nina Ansari, I Carry no Ca$h, 2011

Nina Ansari (geb. 1981 in Teheran) hat ein umfangreiches Oeuvre von Installationen über Malerei und Skulptur, Zeichnungen, Drucke und Fotografie geschaffen. Mit dieser Vielschichtigkeit behält sie sich eine künstlerische und konzeptionelle Freiheit vor. So unterschiedlich die verwendeten Medien sind, so sind sie geeint durch Ansaris Biographie, die sich wie ein roter Faden durch ihr Schaffen zieht. 

Ihre Familie floh vor dem ersten Golfkrieg nach Deutschland als Ansari vier Jahre alt war. Ein Schlüsselmoment im Iran war, als das Hausinnere für kurze Momente durch Bombeneinschläge erhellt wurde. Das blitzartige Erhellen führte zu einer neuen Wahrnehmung der Realität. In ihrer Diplomarbeit Der Blick in die Fotografie (2010) setzte Ansari sich „mit unserem Sehsinn, dem menschlichen Auge, dem `Sehen´ und dem `Blick´ auseinander“ und untersuchte mit der Kamera die Komplexität unserer Wahrnehmung. Die Rolle, die sie selbst als Künstlerin einnahm, beschreibt sie als eine aktive, die Kamera als Waffe, den Rahmen als konzeptionell. Ziel war, den Handlungsspielraum der Fotografie zu definieren. Sie sagt heute in Retrospektive, sie habe diesen für sich ausgereizt und damit für sich das Thema der Fotografie beantwortet.

Nina Ansari
I Carry no Ca$h
2011 © Nina Ansari

Im darauffolgenden Jahr verbrachte sie im Rahmen eines Stipendiums zwei Monate in Kapstadt. Es entstand die Serie I Carry no Ca$h. Ansari bezog ein Apartment an der Albert Road, gelegen zwischen Stadtkern, Gewerbegebiet und Slum. Trotz der Nähe zu einem sozial schwachen Wohngebiet ist diese Serie eine explizite Entscheidung dagegen Armut abzulichten. Von ihrem Balkon in der Peripherie Kapstadts aus fotografierte Ansari vorbeilaufende Einheimische und fing das tägliche Geschehen aus der Vogelperspektive ein. Als Fotografin nahm sie sich zurück, um unbemerkt die Schönheit und auch die Gefahr festzuhalten. Resümierend kann man die Serie als eine Art visuelles Tagebuch verstehen. 

Das namensgebende Porträt der Serie zeigt einen jungen Südafrikaner, der lässig doch zielgerichtet mit leicht seitlichem Blick über die Straße geht. Seine Kleidung – lockere Baggypants, weites Shirt, Ohrstecker, große Sonnenbrille und umgedrehter und seitlich aufgesetzter Sonnenvisor – zeugen von Stilbewusstein und unterstreichen die Ausstrahlung, die in Gang und Blick liegt. Die weiße Aufschrift I Carry no Ca$h seines T-Shirts impliziert die Gefahr eines Überfalls und kokettiert gleichzeitig damit. Die Serie war in der von Lena Fließbach kuratierte Ausstellung GELD – WAHN – SINN 2018 in der Stiftung Reinbeckhallen zu sehen. Im Anschluss der Ausstellung schenkte Sven Herrmann der Sammlung der Stiftung Reinbeckhallen mehrere Werke aus der Serie.

Im Vergleich der Serien Blick in die Fotografie und I Carry no Ca$h wird deutlich, dass eine mediale Selbstreferenzialität dem Einfangen eines bestimmten Moments weicht. Das ihr fremde Land und das besondere Licht Kapstadts veranlasste Ansari dazu, alles in sich aufzunehmen, anstatt es einer konzeptionellen Untersuchung zu unterziehen. Die Rolle der Künstlerin änderte sich zu einer passiven, die Porträts stehen für sich und die Serie ist in ihrem Oeuvre einmalig. Die anfangs angesprochene Vielschichtigkeit und der situationsspezifische, subjektive Umgang mit den Medien wird auf subtile Art und Weise evident.

Maximiliane Kolle


Nina Ansari (*1981 in Teheran) lebt seit 1985 in Deutschland und arbeitet in Berlin und Frankfurt am Main. Sie hatte mehrere Einzelausstellungen wie Front at uqbar, Berlin (2014) und Rebel in Paradise, Aquabit Gallery / Kunstundhelden, Berlin (2013). Außerdem nahm sie an mehreren Gruppenausstellungen Wort zu Bild, Haus am Lützowplatz, Berlin (2019), Alptraum, La Estacion Arte Contemporaneo Gallery, Chihuahua, Mexiko (2018), Akroma, Museum Arsenals of Riga, Lettland (2017), Festiwalla, Haus der Kulturen der Welt, Berlin (2019) u.a. Sie ist Mitglied im BBK, Berufsverband Bildender Künstler Berlin und im Saloon Berlin, Berufsnetzwerk der Künstler und Theoretiker.