Gespräch

Organizing I: Wie die Zukunft war

Politik und Gesellschaft in Ostdeutschland 89/90+
05.07.2019
Der »Herbst der Utopie« ’89: Der Aufbruch der Zivilgesellschaft rückte die Möglichkeit der Neugestaltung eines ganzen Landes in greifbare Nähe. Bereits in den Jahren vor 1989 hatten sich in der DDR Bürgerrechtler*innen und Expert*innen mehr und mehr organisiert und die Demokratisierungsbewegung mit konkreten Reformvorschlägen gespeist. Insbesondere in den Monaten zwischen Maueröffnung und Wiedervereinigung – befördert durch eine Art »Machtvakuum« – schien für eine kurze Zeit fast alles möglich.

Auch wenn viele der Vorschläge letztlich nicht umgesetzt werden konnten: Die Umbruchszeit in Ostdeutschland konnte auf bemerkenswerte Weise zeigen, was Bürger*innen durch Selbstermächtigung und »von unten« erreichen können. An Runden Tischen, in Gruppen und Bürgerinitiativen, auf Demonstrationen und in unabhängigen Gewerkschaften wurden zahlreiche Ideen entwickelt und erprobt.

Und heute? In ganz unterschiedlicher Weise können 1989 und 2019 als Transformationszeiten gelten. Wie viel Zukunftsweisendes steckt in den Jahren um 1989/90? Was war erfolgreich, was ist gescheitert und warum? Was ist zum Beispiel aus den Runden Tischen geworden, welche Chancen und Risiken bergen basis- oder rätedemokratische Prozesse? Was zeigt uns die Umbruchszeit in Ostdeutschland über Möglichkeiten des politischen Handelns und politischer Partizipation heute?


Open Talk mit

Elske Rosenfeld | Künstlerin, Kuratorin & als Schülerin 89/90+ aktiv
Elske Rosenfeld forscht als Künstlerin und Autorin zur Geschichte der Dissidenz in Osteuropa und den Ereignissen von 1989/90, und zum Verhältnis von Körper und Revolution. Sie hat vielfach zu diesen Themen publiziert, u.a. als Ko-Autorin des Berliner Heftes »Zur Verfassung. Recherchen, Dokumente. 1989-2017« und auf ihrem Blog www.dissidencies.net. Ihre künstlerischen Arbeiten wurden international ausgestellt, u.a. beim f/stop-Festival Leipzig (2018); »Herbstsalon III«, Maxim Gorki Theater, Berlin, (2017); Steirischer Herbst 2015, Graz; mumok kino, Wien (2016 und 2013); GfzK Leipzig (2013); Devi Art Foundation, Delhi (2013). 2018 leitete sie zusammen mit Suza Husse das Projekt »wildes wiederholen. material von unten. Künstlerische Forschung im Archiv der DDR-Opposition«. Sie ist Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte.

Rainer Land | Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler & Reformer 89/90+
Jahrgang 1952, studierte Rainer Land nach einer Ausbildung als Rinderzüchter von 1975 bis 1983 Philosophie und Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Neben einer Promotion 1984 über philosophische Probleme der politischen Ökonomie forschte und lehrte er in den 1980er Jahren insbesondere zur Entwicklung der Produktivkräfte im modernen Kapitalismus und zu den Gründen für die Stagnation der staatssozialistischen Wirtschaftssysteme. Von 1988 bis 1990 war er Mitglied der reformorientierten Projektgruppe »Moderner Sozialismus« an der Humboldt-Universität zu Berlin.

In den 1990er Jahren folgten industriesoziologische Untersuchungen des Umbruchs in Kooperation mit dem SOFI Göttingen und die Tätigkeit als verantwortlicher Redakteur der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift »Berliner Debatte Initial«. 2001 war er an der Wiedererrichtung des Thünen-Instituts für Regionalentwicklung e.V. beteiligt und ist dort bis heute als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Das Thünen-Institut erforscht empirisch und theoretisch den sozioökonomischen Umbruch der heutigen Moderne und die besonderen Probleme der Deindustrialisierung und der ländlichen Regionen.

Rainer Land forscht zur gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Erneuerung damals wie heute. Weitere Informationen sowie Publikationen unter www.rla-texte.de.

Renate Hürtgen | Historikerin, Philosophin & Aktivistin 89/90+
1947 in Ostberlin geboren, Arbeiter-Angestelltenelternhaus, 1970 Studium der Kulturwissenschaften und Ästhetik an der HU Berlin, 1976 Promotion. 1977 wegen der Weitergabe illegaler Literatur Weggang von der Universität; Kulturreferentin an der Hochschule für Ökonomie, seit 1980 an der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bereich Philosophiegeschichte. 1978 ist Renate Hürtgen in die Opposition gegangen (Friedrichsfelder Friedenskreis), 1989 hat sie die »Initiative für unabhängige Gewerkschaften« gegründet, deren Aufruf am 4. November von Heiner Müller auf der »Alexdemo« vorgelesen wurde; seitdem ist sie in zahlreichen betrieblichen und sozialen Bewegungen aktiv; immer parteilos und als Basisaktivistin. Sie ist Mitbegründerin und Kuratorin des bzw. im Haus der Demokratie und Menschenrechte; seit 1992 als Historikerin tätig. Schwerpunktmäßig arbeitet sie u.a. zu DDR-Sozial-Geschichte, betrieblichem Alltag, Frauen, Transformation, Revolutionsgeschichte. Renate Hürtgen gehört zum linken Flügel der Bürgerbewegungen, der gleichermaßen kritisch den vergangenen sogenannten sozialistischen wie auch den kapitalistischen Gesellschaften gegenübersteht.

Moderation | Sophie Schulz

Im Sinne eines »Forums« sind alle interessierten Besucher*innen herzlich eingeladen teilzunehmen, zuzuhören, Fragen zu stellen und selbst beizutragen.


Die Veranstaltung ist Teil der Reihe forum 89/90+, die sich mit den innovativen und emanzipatorischen Potenzialen der Umbruchszeit in Ostdeutschland 89/90+ beschäftigt.

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