Die Forschungsausstellung geht auf das seit Anfang 2020 laufende Dokumentationsprojekt Biografie und Geschichte. Private Fotografie in Ostdeutschland 1980–2000 zurück. In mittlerweile mehr als 50 Albengesprächen erzählten Albenbesitzer*innen, welche Rolle die private Fotografie für sie vor, während und nach dem Untergang der DDR spielte. Von den dramatischen Ereignissen im Herbst 1989 gibt es zwar relativ wenig private Aufnahmen. Doch umso eindrücklicher lässt sich in den Alben verfolgen, wie mit der Fotografie die Gemeinschaftlichkeit von Familien, Arbeitsbrigaden, Jugendcliquen und anderen Gruppen hergestellt, organisiert und manchmal über alle gesellschaftlichen Brüche hinweg erhalten und stabilisiert wurden. Denn dass ein politisches System verschwindet und ein neues etabliert wurde, wird in diesen Alben allenfalls in Details sichtbar: Man posierte nicht mehr stolz neben einem Trabant, sondern neben einem Golf. In manchen Urlaubsalben wird die Ostsee von Mallorca verdrängt; in anderen stehen Jahr um Jahr die gleichen Zelte am selben Strand. Und viele Fotograf*innen wechselten von der Schwarz-weiß- zur Farbfotografie, was meist ökonomische Gründe hatte – es war preiswerter, die Filme den neuen Drogerieketten zu übergeben, als sie in den heimischen Dunkelkammern abzuziehen.
Die Ausstellung „… irgendwer hat immer fotografiert …“ wird von der Stiftung Reinbeckhallen Sammlung für Gegenwartskunst realisiert und ist mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert. Das Deutsche Historische Museum ist Kooperationspartner beim Dokumentationsprojekt Biografie und Geschichte. Private Fotografie in Ostdeutschland 1980–2000 und wird im Anschluss ausgewählte Fotografien und Alben in seine Sammlung aufnehmen. Die Ausstellung wird kuratiert von Dr. Friedrich Tietjen in Zusammenarbeit mit Marit Lena Herrmann, Dr. Katja Müller-Helle und Student*innen der Humboldt-Universität zu Berlin.
Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Glossar, welches als studentische Initiative entstand. Es kann in der Ausstellung eingesehen und als PDF hier heruntergeladen werden. Das Glossar enthält 32 Beiträge, die mit Blick auf die große Menge privater Fotografien danach fragen, welche Schlussfolgerungen sich aus der Analyse einzelner Bilder über die Privatfotografie als solche ziehen lassen.
Autor*innen: Ann-Kristin Block, Lena Bösch, Natalia Bürkle, Nadine Butigan, Frank Egger, Marie Egger, Gianna Ehrke, Seoyoung Kim, Katja Müller-Helle, Viviana Linek, Marcel H. Pernik, Véro Seibert, Jana Storch, Friedrich Tietjen, Carolina Zamfirescu