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Jyrki Parantainen, Rosemary, 2006
Alle drei Arbeiten von Jyrki Parantainen in der aktuellen Ausstellung der Stiftung Reinbeckhallen, a touch of playfulness, gehören zu der Serie Dreams and Disappointments aus der Mitte der 2000er Jahre. Sie sind Bilder von Bildern. Seit Jahrzehnten fotografiert der Konzeptkünstler Landschaften und arrangierte Szenen, die er mit Wörtern und Sätzen überlagert und durch das Anbringen von Stecknadeln und Metalldrähten auf der Oberfläche verfremdet. Indem Parantainen Sprache und zusätzliche Materialien in sein fotografisches Werk einbezieht, eröffnet er Assoziationsketten und lädt den Betrachter dazu ein, über das Nicht-Abgebildete nachzudenken.
Sue Williamson, Truth Games, 1998
Die Künstlerin Sue Williamson (*1941 in Lichfield, Vereinigtes Königreich) begann sich Mitte der 1990er Jahre – eine Schwellenzeit für Südafrika, die das Ende der Apartheid und den Beginn der Demokratie bedeutete – mit der Rolle des Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission, TRC) auseinanderzusetzen. Jene südafrikanische Kommission, die beauftragt wurde, Menschenrechtsverletzungen, die zwischen 1960 und 1994 begangen wurden, zu untersuchen und so zur nationalen Bewältigung der Apartheid beitrug. Im Rahmen ihrer Recherche sammelte Williamson Abbildungen und Ausschnitte von Transkripten von damals aktuellen Fällen, die in der Serie Truth Games resultierten.
Truth Games wurde 1998 fertiggestellt und umfasst zwölf interaktive Werke, von denen zwei Teil der Sammlung der Stiftung Reinbeckhallen sind. Die der Serie zugehörigen Arbeiten haben besondere formale und konzeptionelle Qualitäten gemeinsam: Die Hintergründe, überlagert von zehn horizontalen Lamellen, bestehen jeweils aus drei unscharfen Bildern, die von links nach rechts die Ankläger*innen, das fragliche Verbrechen und die Verteidiger*innen darstellen. Auf den Lamellen sind verschiebbare Tafeln angebracht, die Phrasen aus den vorab gesammelten Ausschnitten tragen. Durch das eigenständige Verschieben werden die Betrachtenden eingeladen, sich nicht nur direkt mit dem multimedialen Werken und ihren möglichen Lesarten auseinanderzusetzen, sondern auch zu hinterfragen, inwieweit die Zeugnisse der Wahrheits- und Versöhnungskommission wirksam waren die Wahrheit aufzudecken und dem Land zu helfen voranzukommen.
Paul Graham, a shimmer of possibility, 2018
Die Trips, die Paul Graham für das Fotokompendium a shimmer of possibility durch die U.S.A. – seit 2002 die Wahlheimat des gebürtigen Briten – unternahm, scheinen genauso mäandern wie die verschiedenen Genres an Fotografie, derer er sich bedient. Landschaftsaufnahmen, Porträts, Straßenszenen, Close-ups und Stillleben machen das Werk, bestehend aus zwölf individuellen Fotobüchern, aus. Die Größe der Bücher, das Thema des amerikanischen Alltags der 2000er Jahre sowie das Konzept der fotografischen Kurzgeschichte liegen allen zwölf Serien zu Grunde, jedoch variiert die Seitenanzahl, von einer einzigen Fotografie bis hin zu 60 Seiten.
a shimmer of possibility gilt als eines der prägenden Fotobücher des 21. Jahrhunderts. Im Jahr 2012 ausgezeichnet mit dem Paris Photo-Aperture Prize für das bedeutendste Fotobuch, welches in den letzten 15 Jahren veröffentlicht wurde, war die erste Edition nach nur zehn Wochen ausverkauft.
Film und Grafik – Serie von 15 Plakaten kubanischer Künstler*innen, 2009
Die Zugänglichkeit ist unbestreitbar eine der wichtigsten Eigenschaften der Druckkunst. Von der Produktion bis zur Rezeption bietet diese Kunstform ein enormes Potenzial, kulturelle und gesellschaftspolitische Debatten zu initiieren. Besonders in Verbindung mit den Aktivitäten der lokalen Werkstatt Neue Drucke und im Dialog mit unserem Ausstellungsprogramm leistet die in 2018 erworbene Serie von Plakaten kubanischer Künstler*innen einen wichtigen Beitrag für den Sammlungsschwerpunkt Kunst, die den gesellschaftlichen Diskurs befördert.
Diese Anschaffung war das Ergebnis der ersten größeren Kooperation der Stiftung Reinbeckhallen mit der Werkstatt Neue Drucke – die seit 2017 von Ulrike Koloska in den Reinbeckhallen geleitet wird – im Rahmen von Otro amanecer en el trópico, einer Ausstellung, die eine Bestandsaufnahme von zeitgenössischen künstlerischen Praktiken in und um Kuba präsentierte.
In Vorbereitung der Ausstellung verschaffte eine von der Kuratorin Tereza de Arruda koordinierte Recherchereise nach Havanna einen umfassenden Überblick über die Kunst- und Kulturszene der Inselhauptstadt, der sich zum einen auf die staatlichen Institutionen, zum anderen auf die nicht-institutionalisierten Kunstinitiativen und die Künstler*innen selbst konzentrierte.
Roger Melis, Christa Wolf, 1968
Der ostdeutsche Fotograf Roger Melis begann seine Karriere nach einer Fotografielehre in Potsdam Ende der 1950er zunächst als wissenschaftlicher Fotograf an der Charité, einem Krankenhaus in Ost-Berlin. Etwa zur gleichen Zeit wurde Melis gebeten, deutsche Künstler*innen, Schriftsteller*innen und Sänger*innen für ein Buch zu fotografieren, aber das Projekt wurde bedauerlicherweise nie realisiert. Trotzdem wurden seine Fotografien damals weithin gefeiert und auf beiden Seiten der Berliner Mauer publiziert, was dazu führte, dass Melis Ende der 1960er Jahre beschloss das Krankenhaus zu verlassen, um ausschließlich als freiberuflicher Fotograf zu arbeiten.
Mehrere dieser Porträts, darunter ein eindrucksvolles Bild von Christa Wolf aus dem Jahr 1968, befinden sich in der Sammlung der Stiftung Reinbeckhallen. Auf dieser Schwarz-Weiß-Aufnahme ist die renommierte ostdeutsche Schriftstellerin zu sehen, wie sie in ihrer eigenen Wohnung mit gefalteten Händen an einen Stuhl gelehnt sitzt und den Fotografen und seine Kamera aufmerksam anschaut. Es ist eines von vielen Porträts, die Melis aufgenommen hat und die damals wie heute prominente Kulturschaffende der DDR ins Rampenlicht stellen.
Nina Ansari, I Carry no Ca$h, 2011
Nina Ansari (geb. 1981 in Teheran) hat ein umfangreiches Oeuvre von Installationen über Malerei und Skulptur, Zeichnungen, Drucke und Fotografie geschaffen. Mit dieser Vielschichtigkeit behält sie sich eine künstlerische und konzeptionelle Freiheit vor. So unterschiedlich die verwendeten Medien sind, so sind sie geeint durch Ansaris Biographie, die sich wie ein roter Faden durch ihr Schaffen zieht.
Ihre Familie floh vor dem ersten Golfkrieg nach Deutschland als Ansari vier Jahre alt war. Ein Schlüsselmoment im Iran war, als das Hausinnere für kurze Momente durch Bombeneinschläge erhellt wurde. Das blitzartige Erhellen führte zu einer neuen Wahrnehmung der Realität. In ihrer Diplomarbeit Der Blick in die Fotografie (2010) setzte Ansari sich „mit unserem Sehsinn, dem menschlichen Auge, dem `Sehen´ und dem `Blick´ auseinander“ und untersuchte mit der Kamera die Komplexität unserer Wahrnehmung. Die Rolle, die sie selbst als Künstlerin einnahm, beschreibt sie als eine aktive, die Kamera als Waffe, den Rahmen als konzeptionell. Ziel war, den Handlungsspielraum der Fotografie zu definieren. Sie sagt heute in Retrospektive, sie habe diesen für sich ausgereizt und damit für sich das Thema der Fotografie beantwortet.
Dan Perjovschi, ohne Titel, 2017
Die Ausstellung Drawing Politics des rumänischen Künstlers Dan Perjovschi war die zweite Ausstellung der Stiftung Reinbeckhallen. Heute, fast fünf Jahre später erscheint die Installation besonders angesichts der jüngsten Ereignisse in einem neuen Licht und büßt nach wie vor nichts an Aktualität bezüglich der Thematik ein.
Als work-in-progress gedacht, arbeitete Perjovschi im Vorfeld der Eröffnung in der Ausstellungshalle der Stiftung Reinbeckhallen und gestaltete seine Arbeiten direkt auf den Wänden, darunter Zeichnungen und Collagen. Die Werke wirken wie eine direkte, unmittelbare Reaktion auf das Erlebte, einen Artikel oder ein Bild und werden allerdings oftmals erst zu Papier gebracht wenn sich ein passender Bildträger gefunden hat. Die Zeichnungen werden im Vorfeld gut recherchiert, immer wieder optimiert und verfeinert. So kommentieren sie scharfsinnig gesellschaftliche Phänomene und festgefahrene Strukturen, Missstände und Ereignisse der Weltpolitik oder auch Dinge, die den Künstler persönlich betreffen.
Sibylle Bergemann, Frieda, Allerleirauh, 1988
Mitte der 1960er Jahre begann Sibylle Bergemann ihre fotografische Karriere indem sie Fenster dokumentierte, ein Sujet das sie immer wieder aufgreifen sollte und indem sie so viel wie möglich über das Medium von Arno Fischer und seinem damaligen Umfeld, Mitglieder*innen der Gruppe DIREKT wie Elisabeth Meinke, Roger Melis, Brigitte Voigt und Michael Weidt, lernte. Am Ende dieser Dekade nahm Bergemann bereits regelmäßig Aufträge von ostdeutschen illustrierten Zeitschriften an, darunter Sibylle: Die Zeitschrift für Mode und Kultur.
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